Wer hoch hinaus will, muss ganz unten anfangen.
Für Dachdeckermeister Sven Meissner nicht nur ein täglicher Gang, sondern Lebensweg. Besuch auf der Baustelle Charlottenbogen – diesmal da, wo es windig wird.
Fest und standhaft sieht er aus, wie er da oben mitten auf dem Dach steht. Das Wetter im Gesicht, egal ob Sonne, Regen oder Schnee. Er liebt es. Immer noch. Sven Meissner, 39 Jahre alt, ein trotziger Bart rahmt seinen Mund. Ein Dachdeckermeister ist er und Geschäftsführer von Jahnke Dachbau, 53 Kollegen arbeiten für ihn, bauen Dächer für ganz Deutschland und auch für unseren Charlottenbogen.
Einen weiten Weg ist Meissner gegangen. Damals, vor 20 Jahren, wollte er eigentlich was anderes machen. „Tischler sollte es werden“, sagt er und lacht. Er schrieb eine Bewerbung nach der anderen. Machte ein Praktikum nach dem anderen. Doch keiner wollte ihn ausbilden. „Die Zeiten waren hart“, sagt er. Stimmt, Ende der 90er Jahre war Deutschlands Wirtschaft angeschlagen und die Arbeitsmarktlage angespannt. Am Ende hatte Meissner doch ein bisschen Glück. Ein Verwandter besorgte ihm eine Ausbildung in einer Dachdeckerfirma. „Besser als nichts“, sagte er sich und fing an.
Malochen auf dem Bau. Ob Schrägdach mit Ziegeln, Flachdach mit Abdichtung, Holz oder Beton – all das lernte er. Und während er da oben Ziegel legte, mitten am Arbeiten und Schuften also, fasste er einen Entschluss. Entweder er würde Meister werden oder aber noch etwas komplett anderes lernen, Krankenpfleger beispielsweise. Er überlegte und überlegte, dann stand fest: Er geht den ganzen Dachdeckerweg. Lehre zu Ende gemacht, sieben Gesellenjahre hinterher, vom Kolonnenführer zum Vorarbeiter und dann den Meister. In seiner Firma übernimmt er mehr und mehr Verantwortung. Bis sein Chef ihn zum Geschäftsführer macht und ihm sagt, dass er in ein paar Jahren die Firma übernehmen wird. „Da war ich richtig stolz auf mich, und dass ich durchgehalten habe“, erinnert sich Meissner.
Klar sitzt er jetzt öfter am Schreibtisch, bestellt die Materialien, organisiert die Abläufe, kalkuliert und trägt die Verantwortung. Doch wann immer es geht, klettert er die vielen Gerüsttreppen nach oben, schwingt sein Bein über den Dachrand, genießt erstmal kurz die Aussicht. Ein erhabenes Gefühl. Dann prüft er, ob alles seine Richtigkeit hat. Hier auf den Charlottenbogen-Dächern sieht alles gut aus. „Ein Umkehrdach haben wir gesetzt“, erklärt er. Erst kommt der Beton, anschließend eine Haftbrücke aus Voranstrich, schließlich zwei Schichten Abdichtung, darauf der Dämmstoff und schlussendlich die Dachbegrünung. Die besteht aus Filter- und Drainageschichten, Erdsubstraten und ganz oben dann schließlich den Pflanzen: robusten Gräsern, Kräutern und Kleinbüschen.
„Dachbegrünung wird immer wichtiger“, sagt Meissner. Aus ökologischen Gründen: In Städten fallen grüne Flächen immer mehr weg, also versuchen sie, einen Ausgleich auf dem Dach zu schaffen. Das kühlt außerdem, absorbiert UV-Licht, Regenwasser wird auch erstmal gespeichert. Am Ende werden 2000 Quadratmeter Bitumenbahnen gelegt, 20 Kubikmeter Holz verbaut und sicher mehrere 10.000 Schrauben gesetzt haben.
Dann, wenn sie fertig sind, wenn das Bauprojekt Charlottenbogen abgeschlossen ist, wird Sven Meissner ein weiteres Gebäude in Berlin haben, an dem er vorbeifahren und seiner Tochter sagen kann: Schau, da habe ich mitgebaut.