Im Sommer Eis verkaufen, im Winter Krimi-Bücher schreiben – so taktet Marion Schmid ihr Leben. Ihre Täter sind eiskalt, ihr Bio-Eis ist es auch. Zu Besuch in einer Eisdiele, die den Kiez zusammenhält.
Man glaubt es kaum, aber der März und der April sind die schönsten Monate im Eisgeschäft. Denn dann zieht Marion Schmid die Rollläden nach oben, schmeißt die Eismaschine an und eröffnet die Saison. Endlich. Warme Sonnenstrahlen verscheuchen den Winter und Kinder wie Eltern kommen in die Eisbox geströmt. Das erste Mal Eis schlecken und dabei den Frühling schmecken.
Seit neun Jahren macht Marion Schmid das schon. Hier auf der Elberfelder Straße mitten im Westfälischen Viertel, nur eine Brücke und drei Querstraßen vom neuen Quartier Charlottenbogen entfernt. Von März bis Oktober, sieben Tage die Woche, von morgens bis abends, immer ist die Eisbox offen.
Im ersten Jahr hat sie noch alles alleine gestemmt. Die Zutaten angerührt, das Eis gemacht, hinter der Theke gestanden, den Kindern ihre Tüten gereicht und den Eltern ihre Fragen über Zutaten beantwortet. Heute stellt Marion Schmid pro Saison fünf, sechs oder sogar sieben Mitarbeiter ein. Das muss sie auch, denn am Nachmittag bricht hier der Trubel aus: Wenn die Schulen zu Ende sind, die Kitas schließen, der nächste Spielplatz wartet, kann die Schlange in und vor der Eisbox sehr lang werden. Überall sitzen, stehen und schlecken Klein und Groß. Das Eisglück in der Hand, im Mund und im Gesicht verschmiert.
Marion Schmid ist 64 Jahre alt, eher schlank, eher klein, eher zurückhaltend, doch wenn es um Eis geht und wie sie neue Sorten erfindet und wie das ihren Kunden schmeckt, dann strömt Energie durch ihren Körper in ihre Stimme. Auf dem Wochenmarkt lässt sie sich inspirieren. Was gerade Saison hat, wird bei ihr verarbeitet: Spargel-Eis mit warmen Erdbeeren beispielsweise. Klingt gewöhnungsbedürftig, aber die Leute lieben es.
Da ist das Tonka-Eis. Wer daran leckt, „schmeckt als erstes Kokos, dann Zimt, dann Waldmeister“, sagt Marion Schmid. Tonka ist eine Gewürzbohne aus Brasilien, die wie eine Muskatnuss in die Milch-Sahne-Mischung geraspelt wird.
Oder Safran-Eis abgerundet mit Blutorangenöl. Das ist ihr teuerstes und edelstes Eis, 100 Gramm fünf Euro. Das macht sie nur einmal im Jahr, immer zum Geburtstag der Eisbox. Und ihre Kunden warten gern darauf. Einmal hat sich einer eine ganze Box davon vollmachen lassen. Mehrere Kilo. Normalerweise kosten Marions Eiskugeln zwischen 1,80 und 2,50 Euro.
Einen Ausgleich zum Schreiben suchte Marion damals, vor neun Jahren, als alles anfing. Seitdem gibt es ein Leben vor dem Eisladen und eines mit dem Eisladen. In ihrem Leben vor dem Eisladen war sie außerdem noch Verlegerin, Regisseurin und Buchautorin. „Auf Bio-Eis kam ich, weil ich bis dahin noch nirgends leckeres Bioeis gegessen hatte und diese Lücke hier in meinem Kiez dringend füllen wollte“, sagt sie. Heute hat sie einen der ganz wenigen zertifizierten Bio-Eisläden in Berlin. „Einmal im Jahr kommt der Prüfer, der schaut sich alle Lieferungen an und rechnet stichprobenmäßig die Zutaten und Mengenangaben durch. Ein Riesenaufwand, aber wichtig.“
Wichtig, weil Pasten und Geschmacksverstärker, Kunstaromen oder Pulver, 10-Liter-Eimer-Fertig-Mischungen oder andere Erzeugnisse der Lebensmittelindustrie bei ihr nicht in die Maschine kommen – nur die pure Bio-Frucht und dabei so wenig Zucker wie möglich. „Mein Schoko-Eis schmeckt ziemlich bitter im Vergleich zu den Zuckerbomben, die man woanders bekommt. Aber meine Eis-Kinder kennen und lieben mein Eis. Ich habe sie an den reinen Geschmack gewöhnen können.“
Über die Jahre ist die Eisbox eine feste Größe im Kiez geworden. Mütter kamen erst mit ihren dicken Bäuchen herein, dann mit ihren Babys auf dem Arm, schließlich kamen die Kinder auf eigenen Füßen und nun bestellen sie ihr Eis alleine. „Wenn die Kinder erst Mama sagen, dann Papa und dann Eis, dann geht mein Herz auf“, sagt Marion.
Fazit: Unbedingt einen Umweg wert! Marions Eisbox ist eine Geschmacksoase der besonderen Art mitten in einem beschaulichen Berliner Kiez.