Einmal Zukunft und zurück – bei der Grundsteinlegung im Quartier Charlottenbogen geht es um Stolz, um die Berliner Mischung und die Menschen, die hier bald wohnen werden.
Eigentlich ist die Grundsteinlegung nur ein symbolischer Akt. Für den Bau selber hat er keine Bedeutung. Man könnte ihn auch weglassen. Doch dann würde das Symbol fehlen und ein Festakt, auf den seit Jahrhunderten bei besonderen Bauten großen Wert gelegt wird. Denn der steht für etwas: für Stolz zum Beispiel. Stolz darauf, dass man dieses Haus baut. Dass es ein besonderes Haus ist. Eines, das den Menschen wichtig ist. Die Grundsteinlegung steht auch für eine Hoffnung. Die Hoffnung, dass das Haus lange und sicher stehen möge und dass die Menschen, die dort einziehen, glücklich damit werden. All diese Hoffnung steckt in dem Zement, mit dem die Steine verbunden werden und in der Zeitkapsel, die sicher in der Mitte zwischen den Steinen eingelassen wird. Es ist ein kalter Wintermittwoch, doch die Sonne kündigt bereits ihre Teilnahme an, der Lärm solider Arbeit schallt über das Gelände, der Boden ist matschig.
Und mitten in dieser Baustelle sind Zelte errichtet, spielt eine Band, kann man sich an Heizpilzen die Hände wärmen, werden appetitliche Häppchen gereicht. Minute um Minute kommen mehr Leute dazu. Die Architekten sind da, die einzelnen Gewerke sind vertreten, aber auch Menschen, die sich schon eine Wohnung reserviert haben, die jetzt schon wissen, dass sie hier in zwei Jahren einziehen werden. Am Ende sind es gut 100 Leute, die sich um den Grundstein versammelt haben. Rechts und links auf den Gerüsten arbeiten noch die Bauarbeiter, flechten schon das Metall für die nächste Wand, für die nächste Decke, Stück für Stück geht es voran, keine Minute darf vertan werden.
Dann hebt der Vorarbeiter den Arm. Die Arbeiter stoppen und es wird ruhig. Am Grundstein stehen Herr Heinrich, Vertreter der Degewo, und Bernhard Faber, Bauherr der AMAG Bauten GmbH, und blicken einladend in die Runde. Bernhard Faber nimmt eine Art Urne in die Hand, silberfarben, fest und beständig. Es ist die Zeitkapsel, die traditionell zu einer Grundsteinlegung gehört. Darin befinden sich Tageszeitungen, Münzen und Wünsche an die Zukunft. Aufrecht steht er, den Blick an die Anwesenden gerichtet und in die Zukunft. Er spricht ruhig, das Mikrofon trägt seine Stimme weit über die Köpfe der Menschen und in die Baustelle.
Wenn Faber auf diese Baustelle blickt, sieht er ein Quartier, in dem Singles und Familien, ältere und jüngere Menschen hier einen Grundstein ihres Lebens legen werden: „Es sind Menschen, die miteinander was schaffen und die miteinander hier ihre Zukunft gestalten. Und das in Berlin, der Stadt, die wir so lieben, mit all ihren Facetten, so bunt und unterschiedlich“, sagt er jetzt.
Auch wenn sich jetzt ein bisschen Pathos in seine Worte schleicht, der Inhalt stimmt. Der Kiez rund um den Charlottenbogen ist kein abgekapselter schnieker Luxus-Kiez, sondern ein Kiez mit der guten Berliner Mischung. Hier wird zur Miete gelebt, in Büros und in Werkstätten gearbeitet, von Software bis Auto ist alles dabei, in den umliegenden Unis und Instituten wird an Spitzentechnologie geforscht und in den Restaurants kann man für zehn Euro ein gutes Mittagessen bekommen. Vor den Türen des neuen Quartiers bauen die Schrebergärtner ihr Gemüse an und dahinter fließt die Spree. Der Charlottenbogen liegt mittendrin in der Stadt, zwischen dem wilden Moabit weiter vorne, dem gemütlichen Charlottenburg weiter hinten und dem bedeutungsschweren Regierungsviertel ein Stückchen den Fluss runter.
Und genau hier im Charlottenbogen soll es dann auch das geben, was diese Stadt ausmacht: die berühmte Berliner Mischung. Da sind die drei Häuser mit den einerseits schicken und sehr gut ausgestatteten Eigentumswohnungen und andererseits das Haus mit Wohnungen zur Miete für 6,50 Euro pro Quadratmeter, mietpreisgebunden. Der Partner hierfür ist die Wohnungsbaugesellschaft Degewo, für die nun auch Heinrich das Wort ergreift.
Zur Berliner Mischung gehören auch Jene, die nicht so erfolgreich ins Leben starten: Jugendliche etwa, die Schwierigkeiten haben im Berufsleben anzukommen. Ihnen hilft der berlinweite Verein „Neue Chance Berlin e.V.“. Benjamin Siepmuun, einer der Sozialarbeiter darf sich heute über Unterstützung freuen: Bernhard Faber überreicht ihm einen symbolischen Scheck über eine Spende von 2.000 Euro.
Dann versenken Faber und Heinrich feierlich die Zeitkapsel in den Grundstein und verspachteln die Abdeckplatte mit dem Mauerwerk. Die Bauarbeiter begutachten jeden Handgriff mit kritischen Blicken. Sie werden da gleich noch einmal drüber gehen, damit es richtig gemacht ist, damit es für die Ewigkeit hält, sagen sie und lachen dabei. Bauherr sein ist das eine, bauen das andere.
Der offizielle Teil ist also vollbracht. Und nun? Von einer Zeitreise war doch die Rede gewesen. Und zu einer solchen lädt Faber nun ein: ins Jahr 2021, wenn die Wohnungen bezugsfertig sind. Auf dieses Stichwort hin erscheinen auf einer Leinwand am Baugerüst wechselnde Visualisierungen der fertigen Häuser und einiger Wohnräume. Ein solcher ist im ersten der großen Zelte exemplarisch aufgebaut. Dort können die Gäste auf dem Esstisch die Augmented-Reality-App ausprobieren und den Charlottenbogen aus allen Blickwinkeln zum Leben erwecken, sich auf dem Sofa oder dem Rand der goldgefüllten Badewanne im „Münzenschauer“ fotografieren lassen. Draußen bietet eine Wahrsagerin ihre Dienste an, an eine „Wunschleiter“ können alle ihre Wünsche für die Zukunft hängen.
Die Stimmung ist angeregt, fröhlich, der Glühpunsch vertreibt die heraufkriechende Kälte – schließlich steht man auf der rohen Betondecke. Doch bevor es ungemütlich werden kann, wird es nochmal spannend: aus dem zweiten großen Zelt, das bisher verschlossen war, dringt plötzlich weißer Rauch und eine Musik, die einem irgendwie bekannt vorkommt. Die schlagzeugbetonten Akkorde wiederholen sich, bis wirklich alle aufmerksam geworden sind und gespannt verfolgen, was hinter den sich nun öffnenden Zeltwänden zum Vorschein kommt. Strobolicht und Scheinwerfer, dann ein silberner Konfettiregen, und „The Power of Love“ ertönt es nun unverkennbar – der Titelsong von Huey Lewis & the News zum Film „Zurück in die Zukunft“. Und da steht er, wie eben erst gelandet, das Kultobjekt jener vergangen Zeit, ein Relikt aus der Zukunft: ein echter DeLorean DMC-12! Komplett, mit allem verrückten Drum und Dran – einschließlich Fluxkompensator. Bernhard Faber greift hinein und zieht die Zeitkapsel aus dem Fahrzeug: „Willkommen im Jahr 2039!“ ruft er in die Musik hinein und drückt die Kapsel dem nächststehenden Gast in die Hand: „Was in den nächsten 20 Jahren hier passiert, ist eure Geschichte. Legt eure Wünsche noch mit in die Kapsel und dann muss sie schnell zurück ins Jahr 2019!“ Die Band, nun mit Raumanzug und Spacebrille ausgestattet, spielt weiter, Bar und Buffet versorgen die Zukunftsreisenden mit Schub – nun heißt es nur noch „Party like it’s 2039“! Das haben wir von einer Grundsteinlegung tatsächlich nicht erwartet.