Wer lebt und arbeitet, glaubt und engagiert sich alles im Kiez? Zu Besuch in der Erlöserkirche.
Hart und kurz ist der Glockenschlag, der über die Spree herüberklingt. Gleich hinter der Flussbiegung, nur rasch über die Brücke rüber, an der Ecke, dort steht die Erlöserkirche. Ein bisschen düster sieht sie von außen aus. Die klobigen Doppeltürme kratzen an den Wolken. Mehr wie eine Trutzburg als eine Kirche, so wirkt sie. Doch drinnen wartet das Leben. Zwei Pfarrer öffnen die schwere Holztür eines Seiteneingangs und bitten ins Pfarrhaus. Zeitgleich rennt eine Kindergruppe der evangelischen Kita die Treppe runter. Die Kinder kichern und hüpfen auf und ab, sie sind auf dem Weg zum Innenhof, dort ist ein Spielplatz und ein bisschen Grün. Aus einem der Räume im ersten Stock klingt Gesang. In einem anderen übt eine Frau Trompete. Der Gemeindesaal steht bis auf das letzte Fleckchen mit Stühlen voll. Heute Abend probt hier die Kantorei. Das ist der Kirchenchor, knapp 60 Männer und Frauen, die mitsingen.
„Ihre Auftritte sind in ganz Berlin bekannt“, sagt Rebekka Weinmann mit etwas Stolz in der Stimme. Sie ist eine der Pfarrerinnen. 35 Jahre alt, ihr blondes Haar trägt sie kurz. Gerade kommt sie von einem Seminar wieder, auf dem sie gelernt hat, wie man bessere Predigten schreibt und hält. Sie und ihr Kollege Sascha Gebauer sind das Pfarrer-Doppel-Team und zuständig für insgesamt vier Kirchen in diesem Gebiet.
Die beiden sind nicht hierher versetzt worden. Nein, sie haben sich hierher beworben. Warum? „Das ist eine lebendige und große Gemeinde. Hier ist was los. Viele Ehrenamtliche, die viel machen“, sagt Sascha Gebauer. „Gleichzeitig ist die Gemeinde mit ihren vier Kirchen sehr divers. Wir haben Menschen aus dem eher armen Stadtteil Moabit, aus dem reicheren Charlottenburg und sogar bis runter zum Reichstagsufer“, sagt Rebekka Weinmann.
Sie selber fahren mit dem Fahrrad von Kirche zu Kirche. Sie mit einem Klapprad. Er mit einem Mountainbike. Sie halten die jeweiligen Gottesdienste, treffen Menschen zu Gesprächen, trauen Hochzeitspaare, beerdigen Verstorbene und für die Taufen der kleinen Kinder fahren sie auf Wunsch zu den Familien nach Hause. „Das ist privater, die Familien und die Kinder fühlen sich wohler in ihrem Wohnzimmer“, sagt Gebauer, der diese Besuche mag, weil er so seine Gemeindemitglieder noch einmal anders kennen lernen kann.
Vielleicht steht die Erlöserkirche auch ein bisschen für die Berliner Bezirke, die hier aufeinanderprallen. Moabit auf der einen Seite, Charlottenburg auf der anderen Seite. Geht man in Richtung Moabit die Straße rauf, kommt man an vielen kleinen und internationalen Läden vorbei, bis man vor dem berühmten Berliner Kriminalgericht steht. Geht man aber über die Brücke rüber, nach Charlottenburg, sieht man Forschungseinrichtungen der Universität, schicke Fabriketagen mit Start-Ups, Autohändler, Kleingärten und solide Mietshäuser.
„Wir Pfarrer sind so etwas wie das Rückgrat der Gemeinde. Die Arme und Beine sind die Gemeinde und die Ehrenamtlichen selber“, sagt Sascha Gebauer. Und die Arme und Beine stemmen eine ganze Menge. Da sind die Jugend- und Kinderchöre, die Konfirmandengruppe und die Reisen nach Taize. Es gibt Orgelgottesdienste und Jazz-Gottesdienste mit Livebands. Wer es ruhiger mag, besucht eben den meditativen Gottesdienst. Jeden Donnerstag holen circa 100 Bedürftige Essenspenden ab. Auch die einzige liberale Moschee Deutschlands mit einer Frau als Imam hat in den Kirchenräumen Unterschlupf gefunden.
Und die Gemeinde wächst, auch weil die Gegend sich verändert. Da ist der Bezirk Moabit, in den immer mehr Familien und Studenten ziehen und da sind eine Reihe von Neubauprojekten, wie der Charlottenbogen, die neue Bewohner locken. „Pro Monat haben wir circa 100 Neumeldungen. Die schreiben wir an, laden sie ein und viele kommen auch“, sagt Rebekka Weinmann.
Dann führen die beiden noch durch das jetzt stille Kirchenschiff, nicht einmal der Autolärm dringt von der Straße in den hohen Raum herein. „Sonntags aber sind hier fast alle Reihen besetzt“, sagen die beiden Pfarrer.
Ihre Gemeinde lebt und das macht den beiden großen Spaß.