Was hier alles los ist. Die Baustelle Charlottenbogen wirkt wie die perfekt einstudierte Choreografie eines Musicals. Alles passiert exakt zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle mit den richtigen Leuten. Und ihren speziellen Sound hat die Baustelle auch.
Hier die Vermesser, ohne die geht es gar nicht. Da der Abdichter, wenn er nicht wäre, würde später der Boden einfach reißen und Wasser eindringen. Dort die Decken, die mit dem LKW frisch aus dem Fertigteilewerk kommen und direkt verbaut werden. Und schließlich noch die Maurer, die eine Kellerwand nach der anderen hochziehen. Alles passiert gleichzeitig, alles scheint gleich wichtig – da den Überblick zu behalten, auf so einer großen Baustelle, ist gar nicht so einfach. Aber gerade deshalb muss alles perfekt aufeinander abgestimmt sein, wie ein sorgfältig choreografiertes Musical, das im Takt des Hämmerns, Klopfens und Sägens aufgeführt wird.
Die Vermesser:
Die Vermesser sind noch am leisesten. Heute sind die beiden Männer hier, weil sie für das vierte und letzte Haus der Baustelle Charlottenbogen die Orientierungspunkte für die Bodenplatte setzen müssen. Sie schleppen ihr schweres Messgerät in die Baustelle. Doch noch sind sie selber orientierungslos. „Wo fangen wir an?“, fragt der eine und schaut auf den Plan „Warte mal, hier muss doch irgendwo das Achssystem sein“, sagt der andere. Alle wichtigen Plandaten sind digital im Messgerät gespeichert, sie müssen nur den Anfangspunkt finden. „Ich hab‘s“, ruft der Erste wieder. Jetzt können sie loslegen, damit die Bauarbeiter nachher wissen, wo die Bodenplatte anfangen und dann wieder aufhören soll. Natürlich dürfen sich die beiden nicht die kleinste Ungenauigkeit erlauben.
Der Abdichter:
Ein Vorarbeiter kommt herbei. Robert Belsing heißt er. 36 Jahre alt, Tattoos auf den Unterarmen, kantiges Kinn. Er ist der Chef der Abdichter-Truppe. Das ist eine sehr wichtige Arbeit, wie er sagt. Ohne ihre Arbeit könnten die Böden reißen und Wasser eindringen. Beides will man nicht. Beides soll von vorneherein ausgeschlossen werden. „Dafür gibt es ein Wasserundurchlässigkeitskonzept“, erläutert Belsing jetzt. Einfach erklärt: Grundwasser und Erdbewegung drücken von unten gegen die Bodenplatte, die einem ungeheuren Druck standhalten muss. Damit die Platte dabei nicht plötzlich reißt, wird sie mit künstlichen Sollrissen versehen. Diese wiederum werden mit einem Spezialgel gefüllt, damit kein Wasser eindringen kann. Das passiert überall dort, wo Löcher, Fugen oder diese künstlichen Risse Kontakt mit dem Erdreich haben. Dort setzen die Abdichter ihre verschiedenen Spezialabdichtungen ein, zumeist mit einem Zweifachschutz.
Die Maurer:
Früher kamen ganze Kolonnen, viele Männer, die Stein auf Stein legten. Heute braucht man dafür zwei Arbeiter, eine Steinsäge und einen kleinen Mauerkran. Mit dem kleinen Kran hieven sie die großen, schweren Sandsteine aufeinander, dazwischen streichen sie einen Zwei-Komponenten-Kleber. Manchmal müssen sie die Steine zurechtschneiden. Dann kreischt der Steinschneider, ohrenbetäubend. Den Stein teilt er wie Butter. So entstehen nacheinander die Wände der einzelnen inneren Kellerräume.
Die Filigrandecken:
Endlich ist der LKW mit den Filigrandecken da. Die Arbeiter warten schon. Stehen rastlos auf den Kellermauern des ersten Hauses. Der große Kran hievt ein Deckenstück nach dem anderen herüber. Die Arbeiter dirigieren die Fracht, bis sie genau über der richtigen Stelle schwebt, dann geben sie das Signal zum Absenken. Passt genau. So wird Deckenstück für Deckenstück herübergehoben und verankert. Das Besondere: Die Decken sind exakte Maßanfertigungen aus einer Betonfertigteilefabrik. Dort bekommt man die genauen Daten, schneidet diese sogenannten Filigrandecken mit ihren verschiedenen Schichten zurecht und liefert sie dann passgenau an die Baustelle. Auf diese Decken muss dann nur noch Beton gegossen und glattgestrichen werden. Ruckzuck sind die Kellerdecken fertig.
Bauarbeiter sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.
Viele kennen noch das Bild des Bauarbeiters, der sich schon um 10 Uhr morgens das Bier aufmacht. „Doch diesen Bauarbeiter gibt es nicht mehr“, sagt Manuel Zarbock. Er ist der Betriebsleiter der Baustelle Charlottenbogen. Er ist es, der hier die Oberaufsicht hat. Jetzt schaut er von oben auf seine Baustelle, auf die Männer, die wie in einem Takt vor sich hinarbeiten. „Im Gegenteil“, sagt er, „wer sich auf der Baustelle umschaut, sieht Menschen, die einen höchst anspruchsvollen Job ausüben. Mathematik, Geometrie, Physik, Informatik, räumliches Denken.“ All das sind Fachbereiche, die diese Leute drauf haben müssen. Und auch der einfachste Arbeiter trägt Verantwortung – für seine Arbeit und damit den Gesamtbau, für die Sicherheit seiner Kollegen. Er muss die Pläne verstehen und umsetzen können, ob digital oder analog. Deswegen muss er auf dem neuesten Stand der Technik sein. Harte körperliche Arbeit ist es natürlich immer noch. Und vielleicht gibt es anschließend auch ein Bierchen – zum Feierabend!