Vom zukünftigen Quartier Charlottenbogen braucht man nur 14 Minuten zum Hauptbahnhof oder 11 Minuten zum Zoologischen Garten. Eine Probefahrt an spannenden Berliner Orten vorbei, mit einem typischen Berliner Busfahrer als Chauffeur und einer alten Dame, die das Flirten nicht verlernt hat.
Hauptbahnhof, Bushaltestelle, Linie 245, Direktverbindung Alexanderplatz – Hauptbahnhof – Zoologischer Garten, 11.37 Uhr.
Der Busfahrer will losfahren. Graue Haare hat er und einen dicken Bauch. Eigentlich sieht er gemütlich aus, doch heute hat er es eilig, denn der Bus hat schon drei Minuten Verspätung. Da sieht er eine ältere Dame herannahen. Schnell ist sie nicht. Schritt für Schritt müht sie sich dem Bus entgegen. Er seufzt, öffnet die Tür noch einmal und winkt sie herein. „Weil Sie es sind“, sagt er. „Nun aber schnell hingesetzt und ab durch die Mitte.“ Die Dame bedankt sich überschwänglich, doch er winkt ab. Berliner Busfahrer sind nicht für ihre Freundlichkeit bekannt. Eher für ihre Schlagfertigkeit und dafür, auch in den stressigsten Momenten die Ruhe zu bewahren.
Das neue Quartier Charlottenbogen liegt nicht nur an der Spree, nicht nur mitten in Berlin, sondern auch genau zwischen dem Hauptbahnhof und dem Zoologischen Garten. Wer nicht mit Auto oder Fahrrad unterwegs ist, kann auch mit dem Bus fahren. Je nach Tageszeit braucht der Bus für die elf Stationen zwischen Hauptbahnhof und Haltestelle Franklinstraße zwischen zehn und 15 Minuten und zwischen neun und 14 Minuten weiter bis zum Zoo. Wir machen eine Testfahrt, einmal vom Hauptbahnhof bis zum Charlottenbogen für nur 2,80 Euro.
Es ist die typische Berliner Innenstadtmischung, die sich an diesem Herbst-Mittag im Bus trifft. Touristen mit Rollkoffern auf dem Weg ins nächste Hotel. Schüler, die von der Schule nach Hause wollen. Studierende auf dem Weg zur Technischen Universität. Leute, die noch zur Arbeit fahren. Andere sind auf dem Weg zum Arzt. Viele unterhalten sich, als Zuhörer kann man von einem Gesprächsfetzen zum nächsten streifen. Da geht es um die besten Zahnärzte in der Gegend. Was man heute noch alles anschauen möchte. Und wie doof dieser oder jener Lehrer ist.
11:39 Uhr. Der Bus fährt an der Justizvollzugsanstalt Moabit vorbei. Es ist ein altes Gebäude, 1881 eröffnet. Seitdem sind hier Männer inhaftiert, die auf ihren Gerichtsprozess warten, also in Untersuchungshaft sitzen. Auf der anderen Seite des JVA-Komplexes befindet sich das ehrwürdige Gerichtsgebäude, das Kriminalgericht Moabit. Ein unterirdischer Gang verbindet beide Gebäude, so können die Männer direkt von ihren Zellen in ihren Prozess gebracht werden. Zurzeit sitzen hier etwas mehr als 900 Häftlinge – hinter dicken Mauern und Stacheldrahtzäunen. Doch bis auf die gelegentlichen Justiz-Transporter, die die Straßen entlangfahren, bekommt der normale Mensch davon gar nichts mit. Einerseits. Andererseits kann jeder Interessierte einen Gerichtsprozess besuchen und schauen, wie das, was man sonst nur im Krimi sieht, im wirklichen Leben vonstatten geht.
11:44 Uhr. U-Bahnhof Turmstraße. Jetzt wird es hektisch. Hier kann man nämlich in die U-Bahnlinie 9 umsteigen oder in andere Buslinien. Einige rennen los, wollen den Anschlussbus nicht verpassen. Andere drängeln sich schon in die Tür. „Ich bleibe hier solange stehen, bis sich alle benehmen“, ruft der Busfahrer. Wofür er einen kleinen Applaus bekommt. So läuft das in Berlin.
Und da kommt auch schon die Heilandskirche mit ihrem 87 Meter hohen Turm. Vor den Toren der Kirche findet mittwochs immer ein kleiner, gemütlicher Ökomarkt statt. Fisch, Salami, Brot, Olivenöl, Käse – alles Bioware und direkt vom Erzeuger. Dazu gibt es guten Kaffee und an diesem Mittwoch sogar Musik. Drei ältere Herren spielen auf: Gitarre, Saxophon und Kontrabass. Ein paar Kitakinder tanzen dazu mit ihren Erzieherinnen.
11:49 Uhr. Über die Gotzkowskybrücke verlässt der Bus den Bezirk Moabit und fährt in den äußersten Zipfel von Charlottenburg. Von der Brücke aus kann man schon die Kräne der Baustelle Charlottenbogen sehen.
11:51 Uhr. Haltestelle Franklinstraße. Von hier aus sind es nur noch wenige Meter bis in das neue Quartier Charlottenbogen. Auch die alte Dame vom Hauptbahnhof steigt aus. Verabredet ist sie, sagt sie dem Busfahrer, der sie mit einem Nicken verabschiedet. „Mit einer guten alten Freundin. Wir wollen zum leckeren Italiener. Dort treffen wir uns schon seit Jahren. Sie können ja eine Pause machen und mitkommen, wenn sie wollen“, sagt sie keck, dreht sich um und tippelt langsam davon.